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Klassik Heute

Klassik Heute 29.06.2010
Detmar Huchting

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Mit ihrem temperamentvollen, ebenso erfrischenden wie inspirierten Spiel erweisen die Finnen dem schwedischen Kollegen [Agrell] einen hervorragenden Dienst und bereiten dem heutigen Musikfreund eine vorzügliche musikalische Unterhaltung.
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Johan Agrell (1701-1765), Pfarrerssohn aus dem schwedischen Östergötland, wirkte die meiste Zeit seines Lebens in Deutschland, zunächst war er Kammermusikus am Hof in Kassel, später Musikdirektor von Nürnberg. Unter den deutschen Reichsstädten verfügte Nürnberg über den größten Landbesitz und das Patriziat der Stadt war selbstbewusst: Schließlich hatte Kaiser Friedrich II. die Stadt 1219 mit der Reichsunmittelbarkeit ausgestattet, 1320 erlangte die Stadt die Hochgerichtsbarkeit, 1427 wurden die Patrizier souveräne Alleinherrscher der Stadt und blieben es, bis die Stadt 1806 ihre Selbständigkeit verlor und dem neu gegründeten Königreich Bayern anheimfiel. Musikdirektor einer solchen Stadtrepublik zu sein, war kein unbedeutender Posten – das hat auch der Hamburger Kollege Telemann bewiesen und gepriesen.

 

Agrell ist 20 Jahre jünger als Telemann (doch bereits zwei Jahre vor diesem verstorben). Obwohl Telemann sich weit in die Stilistik der nachkommenden Generation vorwagte, ist Agrells Musiksprache doch noch weiter dem Barock entrückt und nimmt Elemente „jüngerer Brüder“ wie beispielsweise der Bach-Söhne Wilhelm Friedemann (Jg. 1710) und Carl Philipp Emmanuel (Jg. 1714) auf. Charles Burney, den englischen Weltreisenden und vielfachen kundigen Zeugen des europäischen Musiklebens im18. Jahrhundert, konnte Agrell mit seinem angenehmen galanten Stil nicht überzeugen, er beurteilte die Musik für „gut und correct gesetzt, in der Erfindung aber nur mittelmäßig“ – und dieses etwas nörgelige Urteil wurde etwa hundert Jahre später 1875 ohne weitere kritische Würdigung auch von der Allgemeinen Deutschen Biographie übernommen.

 

Heute, nach bald einem halben Jahrhundert der Wiedererweckung der Alten Musik, muss sich Burneys Beurteilung einer Neubewertung stellen, die im Lichte der auf Tonträger gut dokumentierten Musik der so genannten Frühklassiker erfolgen kann – und zu diesem Zweck kommt diese Neuveröffentlichung gerade recht. Denn das 1997 gegründete Helsinki Baroque Orchestra tritt hier zu einer gelungenen Ehrenrettung Agrells an. Drei Sinfonien und drei Instrumentalkonzerte – je eines für Geige, Traversflöte und Oboe – zeigen ihn als Meister seiner Kunst: Vivaldis sprühender Charme und Telemanns unerschöpflicher Einfallsreichtum stehen bei Agrells phantasievoller Musik Pate, doch die Skala reicht noch weiter bis zur stimmungsvollen Atmosphäre des deutschen empfindsamen Stils. Mit ihrem temperamentvollen, ebenso erfrischenden wie inspirierten Spiel erweisen die Finnen dem schwedischen Kollegen einen hervorragenden Dienst und bereiten dem heutigen Musikfreund eine vorzügliche musikalische Unterhaltung.

 

Detmar Huchting (29.06.2010)

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