kulturradio rbb
Bernhard Morbach
kulturradio rbb-12-12-2013-3364
Barockgesang par excellence! ... In jeder Hinsicht eine Produktion, die das Etikett »audiophil« wirklich verdient.

Fare la nina na

Weihnachtsmusik des italienischen Barock

Die Wiederentdeckung von vergessener Musik ist nach wie vor das Lebenselixier der Alten Musik, obwohl sich in diesem Bereich unserer Musikkultur auch schon ein Standardrepertoire eingenistet hat, das zu bedienen auf jeden Fall einen gewissen kommerziellen Erfolg der entsprechenden Produktion zu garantieren scheint. Nicht zuletzt aus diesem Grund sind Einspielungen der Weihnachtschoräle von Michael Praetorius und Umkreis (was das ältere Repertoire betrifft) und der Weihnachtskantaten, einschließlich des Oratoriums von J. S.Bach (was das neuere betrifft) geradezu Legion. Auf dieser CD beschreitet man den entgegensetzt Weg. Er war vermutlich mit einiger Mühsal gepflastert. Denn es galt, in einem gewiss schier unübersichtlichem einschlägigen Repertoire einige »Perlen« ausfindig zu machen. Dabei hat man sich auf zwei inhaltliche Kernbereiche alter Weihnachtsmusik konzentriert, auf die Pastorale (das musikalisch gemalte Idyll der Hirten an der Wiege Jesu) und das Genre des »Ninnananna«, des Wiegenliedes. Im Bereich der Kunstmusik erblühen diese Genres besonders in der italienischen Monodie seit 1600, wobei in den Kompositionen vielfach Elemente der Volksmusik durchschimmern.

Kein Wiegenlied par excellence!

Ein wenig huldigt die vorliegende Weihnachts-CD doch dem »Marketing-Prinzip Standardrepertoire«, denn Tarquinio Merulas Wiegenlied (Canzonetta Spirituale sopra alla nanna) »Hor ch’é tempo di dormire« ist schon in etlichen Einspielungen zu hören, nachdem es von Montserrat Figueras 1992 wiederentdeckt und erstmals aufgenommen wurde. Das gesteigerte Interesse an diesem einzigartigen Sologesang ist verständlich: auf der Grundlage der immer wiederkehren, chromatischen Bassfigur a - b, ein Ostianto, der dem Wiegen eine musikalische Gestalt verleiht – das aber ebenso monoton wie bedrohlich anmutet –, entfaltet sich der Gesang Marias mit einer schaurigen Vorahnung an die Passion Jesu, der als Baby in der Krippe keinen Schlaf zu finden scheint. Die Sängerin hat die schwere Aufgabe, diese inhaltliche Antinomie der Canzonetta interpretatorisch zur Darstellung zu bringen. Es ist mit Worten eigentlich nicht zu beschreiben, mit welcher Eindringlichkeit Amaryllis Dieltiens die Herausforderung meistert. Diese Komposition ist in der Tat so einzigartig, dass man sich als Musiker(in) einfach an ihr messen muss. Dahinter verbirgt sich keinerlei Marketing-Strategie.

Barockgesang par excellence!

Diese simple Bewertung gebührt auch dieses neuesten CD der belgischen Sängerin: Die Stimme ist grundsätzlich »gerade« geführt und mit einem zarten Flatée, eine kontinuierlichen Bebung, belebt. Diese Stimmführung ermöglicht die Anwendung sämtlicher barocker Vortragsmanieren (wie Tremolo, trillo oder das überaus wichtige »messa de voce«, das An- und Abschwellen längerer Töne.), die Amaryllis Dieltins stets höchst überzeugende in den Dienst des Textausdrucks stellt. Indem sie barocke Musik ganz aus dem Geist ihrer Zeit heraus zum Erklingen bringt, entfaltet sie auf größtmöglich Weise das ihr innewohnende Ausdruckspotential – und kann so auch den Hörer von heute zutiefst ergreifen. Auf der Grundlage dieses genuin vokalen Ideals befinden sich Singstimme und die mit ihr konzertierenden Blockföten in größtmöglicher klanglicher Korrespondenz.

Was die »äußere Klanggestalt« der SACD/CD betrifft, so muss man dem Tonmeister von Aeolus gleichfalls (wieder) Virtuosität bescheinigen. Das Klangbild ist von äußerster Transparenz und Plastizität. Besonders eindrücklich tritt dies freilich in dem Raumklang der SACD in Erscheinung. Aber auch die Stereo-Abmischung (für den »normalen« CD-Spieler) klingt höchst überzeugend. Es handelt sich in jeder Hinsicht um eine Produktion, die das Etikett »audiophil« wirklich verdient.

Bernhard Morbach, kulturradio