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Paris, Notre-Dame d'Auteuil

Paris, Notre-Dame d'Auteuil

Paris, Notre-Dame d'Auteuil

Die Geschichte der Cavaillé-Coll- Orgel von Notre-Dame d’Auteuil in Paris ist interessanterweise sehr eng verbunden mit derjenigen der legendären Orgel des «Palais du Trocadéro» in Paris, ebenfalls einem Instrument der Firma Aristide Cavaillé-Coll.

Cavaillé-Coll hatte 1877 mit dem Bau einer dreimanualigen, 45-registrigen Orgel für die Pfarrkirche von Auteuil im Pariser Südwesten begonnen. Der damalige Pfarrer von Auteuil, Abbé Lamazou (dessen Grab sich in der Kirche unterhalb der Orgelempore befindet), war ein großer Orgelfreund und seit vielen Jahren Verehrer Cavaillé-Colls. Er hatte die Auftragsvergabe vermittelt. Etwa zeitgleich entstand auf der «Place du Trocadéro» anläßlich der Pariser Weltausstellung von 1878 ein gigantischer Saalbau mit einem Fassungsvermögen von 5000 Besuchern. In dessen Zentrum lag ein elliptischer Konzertsaal mit einer Innenhöhe von 50m und einem Innendurchmesser von 58m. Für diesen Saal hatte einer der beiden Architekten den Einbau eines Orchesterpodiums sowie einer großen Saalorgel vorgesehen. Man wandte sich mit der Bitte um ein entsprechendes Angebot an Aristide Cavaillé-Coll. Dessen Kostenvoranschlag belief sich auf 200.000 Francs, eine Summe, welche die Kommission zunächst von ihrem Vorhaben Abstand nehmen ließ. Kurz vor Vollendung des «Palais du Trocadéro» entschied man sich dann allerdings doch noch für eine Auftragsvergabe an die Firma Cavaillé-Coll. Die verbleibende Zeit bis zur Einweihung des Saales war nun aber so knapp, daß es völlig undenkbar gewesen wäre, ein komplett neues Instrument von entsprechender Größe anzufertigen. So kam man auf die Idee, die Gemeinde von Auteuil um die “Ausleihe” ihres Instrumentes für die Zeit der Weltausstellung zu bitten, ein in der Geschichte des französischen Orgelbaus vermutlich einmaliger Vorgang. Dem Pfarrer von Auteuil mag die Entscheidung wohl relativ leicht gefallen sein, da zu dem Zeitpunkt der Bau der neuen Pfarrkirche noch kaum über die Grundmauern hinaus gediehen war. Für Cavaillé-Coll stellte sich allerdings das Problem, daß das Instrument mit seinen 45 Registern zu klein für den riesigen Konzertsaal war. So beschloß er, die Orgel um ein viertes Manual und zwei gigantische Pedaltürme mit 32’-Prospekt zu erweitern. Es entstand nun die eigenartige Situation, daß der Kernbestand der Orgel - das für Auteuil angefertigte Instrument - im Besitz der dortigen Gemeinde blieb, die Erweiterungsbauten indes vom französischen Staat bezahlt wurden und nach dem Ende der Weltausstellung auch in dessen Besitz verbleiben sollten. Konflikte waren vorprogrammiert. Denn als wenige Jahre darauf der Trocadéro abgerissen werden sollte, verlangte der Abbé Lamazou zurecht die Rückgabe des Instrumentes an die Gemeinde von Auteuil. Dies rief eine große Zahl namhafter Pariser Organisten auf den Plan, die unter der Führung von Alexandre Guilmant und Charles-Marie Widor erwirken konnten, daß der französische Staat sich 1882 dazu bereit erklärte, auch den der Gemeinde von Auteuil gehörenden Teil der Orgel aufzukaufen. Des weiteren sah man nun von einem Abriß des Saales ab, so daß die mittlerweile etablierte Reihe von Orgelkonzerten im Trocadéro fortgesetzt werden konnte.

Für die Gemeinde von Auteuil ergab sich somit die Notwendigkeit, eine völlig neue Orgel bei Cavaillé-Coll in Auftrag zu geben. Dieser führte den Auftrag in den Jahren 1884-85 aus. Der Abbé Lamazou verfolgte den Fortgang der Arbeiten mit großer Aufmerksamkeit, und Cavaillé- Coll, der sich durch die Vorgänge im Zusammenhang mit der Trocadéro-Orgel ein wenig in der Schuld des Abbé sah, ließ bei der Intonation der Orgel besonders große Sorgfalt walten. Von den ursprünglich ausgeführten drei Manualen der ersten Orgel blieben nun jedoch (aus Geldmangel?) lediglich zwei übrig (Grand-Orgue und Récit expressif). Das Einweihungskonzert spielten am 11.Februar 1885 Charles-Marie Widor, Organist der Pariser Kirche St.Sulpice, und Henri Dallier, später Organist der Madeleine und der Kirche St.Eustache.

Eine erste Reinigung der Orgel führte 1912 die Firma Mutin-Cavaillé-Coll durch. 1937 beschloß man, das gewissermaßen nach wie vor fehlende weitere Manual (Positif expressif) zu ergänzen. Diese Arbeiten wurden der Firma Gloton-Debierre anvertraut, welcher der Komponist Albert Alain als Berater zur Seite stand. Der damalige Titularorganist Paul Marcilly bestand auf der bedingungslosen Beibehaltung der Intonation der originalen Cavaillé-Coll-Register. Gloton war seinerzeit Werkstattmeister bei Cavaillé-Coll gewesen und daher mit der Materie bestens vertraut. Hingegen wurde die Orgel komplett nach dem «Système Debierre» elektrifiziert und mit einem neuen Spieltisch ausgestattet. Es spricht für die Qualität dieser Arbeiten, daß die gesamte Elektrik von 1937 nach wie vor einwandfrei funktioniert. Die Orgel umfaßte nun 53 Register, wobei Gloton die Pedalladen auf die beiden äußeren Seitenemporen verlagerte, eine Soubasse 32’ hinzufügte und die beiden Positif-Schwellkästen in dem durch die Verlegung des Pedalwerks im Hauptgehäuse frei gewordenen Raum positionierte.

In den 60er Jahren ersetzte die Société Picaud-Barbéris die Aliquotstimmen des Positif expressif von 1937 durch solche engerer Mensur. Zuletzt wurde die Orgel 1984 auf Anregung des damaligen Titularorganisten Henri Veysseyre gereinigt. Diese Arbeiten führte Jacques Barbéris durch, dessen Rechtsnachfolger Jean-Pierre Swiderski heute mit der Wartung der Orgel betreut ist.

Chr.M.Frommen



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