Concerto
Reinhard Kriechbaum
Concerto-1705
Keine verzierende Zutat bremst das tänzelnde, tändelnde Motivspiel, und die Continuo-Gruppe ist stets mit pointierender Kraft zur Stelle, um ihrerseits die melodischen Schwungräder in Gang zu halten.

Der niederländische Maler Härmen van Steenwyck hat in einem Stillleben die Blockflöte einem Totenkopf in den Mund gesteckt: eine eigenwillige Illustration fürs Cover einer CD mit absolut lebensfroher Musik, den ersten sechs der zwölf Sonaten (1716) von Francesco Maria Veracini. Aber vielleicht ist es ja tatsächlich so, dass diese Noten von den meisten Blockflötisten abgelegt werden wie die Versatzstücke in diesem Bild mit Memento-mori-Charakter. Es ist zwar absolut geläufige, aber im Grunde ungeliebte Literatur (wahlweise für Geige oder Blockflöte); die meisten scheinen froh, wenn sie diese Stücke irgendwann in Studienmitte hinter sich gebracht und damit eine der Feuertaufen in Sachen Diminution und Ornamentik absolviert haben...

Karsten Erik Ose und die Continuo-Spezialisten des Ensembles Ornamente 99 (Diez Eichler, Cembalo, Andre Henrich, Erzlaute, und Matthias Hofmann, Barockcello) kühlen ihr Mütchen genau an dieser nachgestalterischen Herausforderung: Was in den Noten steht - gelegentlich durchaus nervtötende Themenwiederholungen - ist als Gerüst zu lesen. Veracini war ja ein höchst improvisationsbegabter Geiger, wie Zeitzeugen berichten. Er hat Tartini in Venedig herausgefordert und diesen zur überstürzten Abreise gebracht, auf dass dieser »seine Bogentechnik auf das Niveau des Obengenannten« bringe, kommentierte ein Ohrenzeuge des geigerische Wettstreits süffisant.

Die wohlkalkulierten oder auch spontanlaunigen Verzierungen machen es also aus, und der junge Karsten Erik Ose geht mit gutem Augenmaß vor. Lustvoll denkt er sich auch beim sechsten, siebenten Mal einer Motivwiederholung noch eine kleine, gleichwohl unaufdringliche Pikanterie aus. Uneitel wirkt sein Musizieren und doch ambitioniert und voller Phantasie. Keine verzierende Zutat bremst das tänzelnde, tändelnde Motivspiel, und die Continuo-Gruppe ist stets mit pointierender Kraft zur Stelle, um ihrerseits die melodischen Schwungräder in Gang zu halten. Ose weist im Booklet darauf hin, dass Frans Brüggen nur das erste und sechste Stück dieser in Kopistenschrift überlieferten Werkfolge eingespielt hat - und diese beiden sind ja tatsächlich die kreativsten der Folge: die sechste Sonate vor allem, die mit beinah aggressiver Kraft vorwärts stürmt und im zweiten Satz mit ungewöhnlichen Modulationen überrascht.

Reinhard Kriechbaum