Ludwig Daser ist unter den Komponisten des 16. Jahrhunderts heute weitgehend unbekannt. Zu seiner Zeit galt er dagegen als herausragender Meister und Virtuose, man verglich ihn mit Josquin, Clemens non Papa und Orlando di Lasso. Selbst wenn man die offenkundig etwas übertreibenden Lobeshymnen seiner Zeitgenossen ein wenig zurücknimmt, bleibt erkennbar, wie sehr Daser damals geschätzt wurde. Vermutlich überschattet die Bedeutung des herausragenden Orlando di Lasso jede Beschäftigung mit dem Mann, der seinerzeit dessen Amtsvorgänger gewesen war.
Um 1526 geboren war Daser nur wenige Jahre älter als Lasso. Seine Laufbahn verlief freilich zunächst wesentlich unspektakulärer, ja regelrecht geradlinig bis zu dem Zeitpunkt, als Lasso in München erschien. Daser leitete bis dahin die Münchener Hofkapelle. Ihm zur Seite stand der überaus eifrige Komponist Mattheus Le Maistre. Als dieser 1554 München verließ, um an den protestantischen Hof des Kurfürsten von Sachsen zu ziehen, konnte Daser zeigen, dass er neben dirigentischen auch kompositorische Qualitäten besaß. Herzog Albrechts Leidenschaft war die aktuelle Mode der Kammermusik, d. h. Lieder, Chansons, Madrigale und natürlich auch Motetten nach neuester Art. In diesem Bereich mit durchaus internationalem Anspruch schien ihm Daser wohl zu wenig erfahren. Letzterem ließ man also den kompletten Kirchenmusikbereich und engagierte für die Kammermusik den jungen Orlando di Lasso, der nun die modernste Musik aus Italien und den Niederlanden an die Isar brachte. Man kann sich leicht vorstellen, wie Daser sich ab 1556 gefühlt haben muss. Bereits 1562 ließ sich Lasso bei der Krönung Maximilians II. zum deutschen König als der berühmteste Komponist seiner Zeit feiern. Außerhalb Münchens hielt man ihn längst schon für den Leiter des Münchner Ensembles, was er de jure zu der Zeit nicht gewesen ist. Möglicherweise hat er aber Ludwig Daser damals als Kapellmeister vertreten, denn dieser scheint schwer erkrankt gewesen zu sein, womöglich rang er sogar mit dem Leben. Wider alle Erwartungen erholte sich Daser in den folgenden Jahren, konnte aber seine 1563 erfolgte Frühpensionierung nicht mehr rückgängig machen lassen.
Da fügte es sich glücklich, dass 1571 der württembergische Herzog Ludwig einen neuen Kantor benötigte. Schon im Jahr darauf zog Daser nach Stuttgart. Unter seiner Leitung entwickelte sich die dortige Kapelle prächtig und wurde nach und nach von anfänglich 32 Mitgliedern auf 45 im Jahre 1585 vergrößert.
Kompositorisch fühlte sich Daser immer der Generation eines Josquin Desprez und seinem Vorgänger in der Münchner Kantorei, Ludwig Senfl, verpflichtet. Dennoch sollte nicht übersehen werden, dass er in vielen Punkten andere Wege ging.
Die Missa super Ave Maria basiert auf einer in dem Münchner Chorbuch 12 überlieferten sechsstimmigen Motette von Ludwig Senfl über die Sequenz Ave Maria. Interessant ist aber, dass darüber hinaus das Chorbuch 41 die gleichnamige Motette von Josquin Desprez enthält, die – eigentlich vierstimmig – in dieser Handschrift in einer zur Sechsstimmigkeit erweiterten Fassung vorliegt. Wir wissen nicht, von wem diese Bearbeitung stammt. Es ist aufgrund der Beziehungen zum Werk Dasers nicht ausgeschlossen, dass er als Urheber anzusehen ist.
Franz Körndle