Die Orgel der St. Martinskirche in Düdelingen wurde 1912 in Anlehnung an die Intentionen des 1909 in Wien verabschiedeten Internationalen Regulativs für Orgelbau errichtet. Die dreimanualige Orgel hatte 45 Register (und 3 schwellbare Transmissionen im Pedal) auf Kegelladen, eine pneumatische Spiel- und Registertraktur; sie wurde von drei englischen Wassermotoren angetrieben. Eine weitere Anleihe aus dem englischen Orgelbau war die im Positiv-Schwellwerk auf 300 mm WS stehende Hochdruck-Tuba mirabilis 8’. Typisch französische Eigenschaften waren, neben den für Stahlhuth charakteristischen überblasenden Stimmen, Zungen in französischer Bauform (mit verzinnten Kehlen), von denen mindestens drei (Vox humana 8’, Tuba 8’ und Posaune 16’ - «octave grave de bombarde 16’, grosse taille») von der Pariser Orgelpfeifenmanufaktur Sézerie geliefert wurden. Im Grundcharakter war die Orgel jedoch deutsch-romantisch ausgerichtet, mit zahlreichen 8’-Registern, einer Unterscheidung der Manuale nach den verschiedenen Mensuren (weit, normal, eng) und ihrer Stärkeschattierungen (f, mf, p). Neben der Hochdruck-Tuba mirabilis hatte die Orgel zwei weitere, sogenannte Starktonregister: Seraphon Gedackt 8’ und Seraphon Flöte 8’ mit jeweils zwei Labien. Mit diesen drei Starkton-Registern, den zahlreichen Grundstimmen und den beiden Schwellkästen sowie ihren Sub- und Superoktavkoppeln hatte die Orgel eine außerordentliche dynamische Bandbreite.
Diese Orgel erlitt 1962 in völliger Verkennung ihrer stylistischen Besonderheiten nach der damals vorherrschenden neobarocken Klangästehtik tiefgreifende Veränderungen in ihrer technischen und klanglichen Struktur: Herabsetzung des Winddrucks, Ersatz der Pneumatik durch Elektrik, Entfernung des originalen Spieltisches, Veränderungen am Pfeifenwerk, Versetzung ganzer Register auf andere Windladen, Hinzufügen von hochklingenden Mixturen und Aliquoten und eines vierten, neobarock konzipierten Manuals sowie Entfernung charakteristischer Stahlhuth-Register.
Nachdem die Orgel Mitte der 90er Jahre kaum noch spielbar war, konnte die bereits seit Ende der 80er Jahre geplante Erneuerung der Orgel nach jahrelangen Studien erfolgen. Zu den von der Firma Thomas Jann von 2001 bis 2002 durchgeführten Arbeiten gehörten sowohl eine Restaurierung als auch eine Rekonstruktion der Stahlhuth-Register und Windladen von 1912 sowie eine harmonische Erweiterung der Orgel mit deutsch-romantischen und französisch- symphonischen Klangfarben. Die 1962 hinzugefügten Register wurden entfernt, die Umstellungen rückgängig gemacht. Das damals hinzugefügte neobarocke Positiv wurde durch ein französisch intoniertes Bombardwerk ersetzt. Der viermanualige Spieltisch von 1962 wurde durch einen völlig neuen Spieltisch mit Setzeranlage, MIDI-Schnittstelle und Replay-System ersetzt. Somit verfügt die Orgel wieder über die Klangpalette von 1912, die am Spieltisch durch schwarz beschriftete Registerschildchen deutlich gekennzeichnet ist. Die wichtigsten Ergänzungen sind:
- eine Erweiterung des Streicherklanges mit einem vollständigen Gambenchor (vom 16’ bis zur Terzgamba 1 3/5’)
- zahlreiche orchestrale Solostimmen sowohl deutscher als auch französischer Bauart und Intonation
- sehr zahlreiche (23) und differenzierte Zungen auf sämtlichen Manualen (deutsche und französische Zungen)
- ein starkes Fundament auf 32’ Basis
(Untersatz 32’ ab C, Contrabombarde 32’ in voller Länge)
- Großaliquoten 5 1/3’ und Terz 3 1/5’ und tief klingende Mixturen.
Die mehrere Monate dauernde Intonation erfolgte kompromisslos nach romantischen Intonationstechniken. Die wichtigste Eigenschaft der Orgel ist somit die stilgerechte Aufführung sowohl der deutschen als auch der französischen und englischen Literatur der romantisch-symphonischen Epoche.
Alex Christoffel