In den Jahren um den Ersten Weltkrieg hatte Brüssel eine reiche und faszinierende Orgelkultur. Das veranlasste lokale Komponisten, für die Orgel zu komponieren. So entstanden in der Zeit, in der Vierne in Paris einige seiner großen Symphonien schrieb, interessante symphonische Orgelwerke von Komponisten, die heute kaum oder gar nicht bekannt sind, wie Paul Gilson, Raymond Moulaert, Joseph Jongen und Paul de Maleingreau.
Im Jahr 2006 wurde der fünfzigste Todestag von Paul Eugène Malengreau begangen. Er wurde 1887 in einem nordfranzösischen Dorf geboren, wuchs aber in der Nähe der wallonischen Provinzhauptstadt Namur auf. Er studierte am Brüsseler Konservatorium Orgel bei Alfons Desmet (ein Schüler von Lemmens), Harmonielehre bei Paul Gilson und Kontrapunkt bei Edgar Tinel. Von 1913 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1953 war Malengreau als Dozent am selben Konservatorium tätig. Als Komponist veröffentlichte er unter dem Künstlernamen Paul de Maleingreau mehr als hundert Werke, davon vierzig Opusnummern für Orgel solo. Seine Orgelwerke lassen sich in zwei Kategorien einteilen: zahlreiche Vor- und Zwischenspiele für liturgischen Gebrauch, einfach gestaltet und für kleinere Orgeln geeignet, einerseits und große symphonische Werke mit virtuosen Passagen und viel Sinn für Drama andererseits. Der Stil von De Maleingreaus Kompositionen wird in der Regel als ‚impressionistisch‘ bezeichnet, mit einem Augenzwinkern zu Claude Debussy. Sein Stil hat jedoch dank der häufigen Verwendung von gregorianischen Themen einen ganz eigenen Charakter. Drei große Symphonien bilden den Kern und Höhepunkt von De Maleingreaus Orgelwerken. Sie sind alle drei auf diesen CDs zu hören, zusammen mit der Suite pour orgue, der Suite Mariale und der Toccata pour orgue. Das ergibt zweimal fast achtzig Minuten reine symphonische Orgelmusik und eine interessante Begegnung mit einer Klangwelt, die, obwohl noch keine hundert Jahre von uns entfernt, ziemlich unbekannt ist.
Die Symphonie de Noël, gewidmet Albert Schweitzer, erinnert manchmal an Vierne. In der Symphonie de la Passion, gewidmet einem der Flämischen Primitiven (Rogier van der Weijden), kommentiert De Maleingreau auf eindringliche Weise einige Szenen aus der Passionsgeschichte, in denen das Tumult des Volkes und der Gang nach Golgatha eine unheilvolle Atmosphäre erzeugen. Die Symphonie de l’Agneau Mystique basiert auf dem berühmten Altarbild des Genter Altars der Brüder Van Eyck (1432), das sich in der Kathedrale von Gent befindet. De Maleingreau malt mit Tönen und schafft Atmosphären, die ein großes Spektrum umfassen; von mystischer Zurückhaltung bis zu triumphaler Ausgelassenheit. Die Art und Weise, wie er gregorianische Themen verarbeitet, zeugt von großer Erfindungsgabe und religiöser Hingabe.
Peter Van De Velde hat mit ‘seinem’ Orgel in der Antwerpener Kathedrale – und damit meinen wir natürlich die monumentale Schyven-Orgel – das ideale Medium, um diese Musik zu präsentieren, und das macht er mit viel Elan. Pierre Schyven platzierte hier sein Opus Magnum (IVP/90) im Jahr 1891, zweifellos der Höhepunkt des belgischen romantischen Orgelbaus und zudem nahezu perfekt erhalten. Die milden Grundstimmen sind von ergreifender Schönheit und die Zungenwerke sorgen für ein festliches Tutti, das jedoch weniger intensiv ist als das seiner französischen Konkurrenten. Die Orgel klingt in der Kirche keineswegs laut, im Gegenteil: leisere Registrierungen erfordern vom Kirchenbesucher eine aufmerksame Zuhörhaltung. Das gilt auch für diese Aufnahmen. Tonmeister Christoph Martin Frommen von Aeolus hat den Klang mit viel Gefühl für Details eingefangen. Der dynamische Bereich der Orgel kommt gut zur Geltung. Die Barker-Maschinen sind in leisen Passagen hörbar – genau wie in der Kirche.
Wie üblich bei Aeolus ist die Gestaltung der Verpackung (Karton) und der Booklets geschmackvoll. Alle gewünschten Informationen sind in vier Sprachen verfügbar.
Diese CDs sind eine wichtige und schöne Ergänzung zur Sammlung symphonischer Orgelmusik. [ERIK VAN DER HEIJDEN]