Gilles Jullien starb 1703 im Alter von ungefähr 50 Jahren. Er studierte wohl in Paris, war 36 Jahre lang bis zu seinem Tod Organist der Kathedrale seiner Heimatstadt Chartres. Als Komponist ist von ihm nur sein erstes und einziges Orgelbuch erhalten, veröffentlicht 1688 nach dem Vorbild von Nicolas Lebegue. Es besteht aus 80 kurzen Orgelstücken, die in acht verschieden langen Suiten nach den Kirchentönen angeordnet sind, mit Titeln nach typischen Registrierungen wie Tierce en taille (eine Mixtur in mittlerer Lage), Basse et dessus de Voix humaine, Dessus de cromhorne und so weiter. Die tänzerischen Sätze sollten im Gottesdienst gespielt werden und sind deshalb häufig mit neutralen Überschriften wie Prelude (im Charakter einer Allemande) oder Dialogue versehen.
Je vier der Suiten sind auf einem außergewöhnlichen Instrument eingespielt. Weit zurück und nach vorne in der Zeit weist die Haon-Orgel der Kathedrale von Montauban bei Toulouse, erbaut 1675, vielfach umgebaut und am Ende des
20. Jahrhunderts von Pascal Quoirin wieder in den Zustand von 1741 versetzt, als sie auf Kosten des Königs ihren jetzigen Standort in der damals neuen Kathedrale erhielt: ein fast archaisches Musterbeispiel für den klassischen französischen Orgelbau. Dies ließe sich in gewisser Weise auch von der 1725 erbauten Orgel der Abteikirche von Mouzon in den französischen Ardennen sagen, zumal ihr Erbauer Christophe Moucherel gerade zuvor in der Kathedrale von Albi ein Gipfelwerk des Übervaters Dom Bedos restauriert hatte. Freilich hatte Moucherel sein Handwerk in Deutschland gelernt, und manchmal meint man, eine norddeutsche oder niederländische Orgel zu hören bei überaus charakteristischen Zungenstimmen wie der überwältigend schönen Basse de trompette (1870 wurde sie ausgebaut, der Rest 1917 von den Deutschen beschlagnahmt, 1991 dann von Barthelemy Formentelli restauriert, der seinerseits ebenfalls in Albi tätig war). Als besonderes Bonbon enthält Julliens Premier Livre d'Orgue am Ende noch eine Cäcilien-Motette. Dies ist womöglich der beste Teil der kompositorisch soliden, aber wechselvoll inspirierten Sammlung. Hier ist sie unter der Leitung von Bob van Asperen ebenso makellos wie gelassen eingespielt. Insgesamt eine sehr verdienstvolle Edition.