Welche Werke der Niederländer Jan Pieterszoon Sweelinck nun für sein Instrument, die Orgel, geschrieben hat und welche möglicherweise für das Cembalo – diese Frage muss trotz einer eifrigen Forschergemeinde wohl weiterhin unbeantwortet bleiben. Und so ist es dem jeweiligen Interpreten überlassen, aus dem dank fleißiger Notenarchivwürmer ständig größer werdenden Repertoire von Sweelinck sich jene Stücke herauszupicken, die möglicherweise für den damaligen Hausgebrauch bzw. für Sweelincks Arbeitsplatz in der Amsterdamer Oude Kerk geschrieben wurden. Wie sich die Verhältnisse zwischen Orgel und Cembalo verschieben können, verdeutlicht die aktuelle Gesamteinspielung des Clavierwerks von Sweelinck durch Léon Berben. Hatte einer seiner Lehrer, Ton Koopman, vor rund dreißig Jahren bei seiner Aufnahme sämtlicher Tastenwerke sich recht ausführlich mit dem vermeintlichen Cembaloschaffen von Sweelinck beschäftigt, nimmt bei seinem niederländischen Landsmann Berben jetzt die Orgel den absoluten Löwenanteil ein. Und wie Berben den faszinierenden, aktuell 85 Tastenstücke umfassenden Klangkosmos von Sweelinck da an drei historischen Instrumenten ausmisst, die für die niederländische, u.a. vom legendären Niehoff geprägte Orgelbautradition stehen, muss man ihn zu seiner Wahl beglückwünschen.
An der Renaissance-Orgel im niederländischen Oosthuizen, an der Eglise Saint-Jacques-Orgel im belgischen Lüttich sowie an der Hans Scherer-Orgel (1624) in der St. Stephanskirche in Tangermünde weiß Berben das kunstvolle Geflecht sowie die visionären Gedanken geradezu nachschöpferisch zu gestalten und zu offenbaren. Ob es nun die geistvolle Strenge auch in den Psalmen ist oder die Kühnheiten in den Echo-Fantasien, ob die packende Größe in den Toccaten oder das Heitere und Gelöste in den Choralsätzen. Ähnliche Erlebniswelten tun sich aber selbstverständlich ebenfalls in den Tanzsätzen und Volkslied-Variationen auf, die Berben auf einem Cembalo spielt. Und dass es ihm hier ausschließlich um die Einzigartigkeit dieser Musik ging und nicht um die aufführungspraktischen Dogmen der Alte Musik-Szene, unterstreicht seine Wahl des Instruments. Statt ein in Colmar beheimatetes, laut Berben aber klanglich eher dürftiges Ruckers-Cembalo von 1624 zu bespielen, entschied er sich für einen Nachbau aus der Werkstatt von Keith Hill. Und diese Entscheidung erwies sich rückblickend als goldrichtig. Denn Berben kann nun auch mit grandiosem Schwung zum Ballett oder zur Allemande einladen.